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Aisthesis und Gesellschaft:
Texte zur Politik der Kunst
1. Edition
April 2019
Spiegelblicke – Visuelle Subjektivierung im Titelbild des Leviathan von Thomas Hobbes, gestaltet von Abraham Bosse 1651
Daniel Mueller-Herz

Wir stellen zunächst fest, dass die Struktur jeder Ideologie, durch die die
Individuen […] als Subjekte angerufen werden, selbst spiegelhaft [spéculaire] ist […]
Louis Althusser: Ideologie und ideologische Staatsapparate

Il y suffit de comprende le stade du mirroir comme une identification au sens plain que l’analyse donne à ce term: à savoir la transformation produite chez le sujet, quand il assume une image […]1
Jacques Lacan: Le stade du miroir comme formateur de la fonction du je

Der Blick, den die Augen offenbaren, von welcher Art
sie auch sein mögen, ist reine Verweisung auf mich selbst.
Jean Paul Sartre, Das Sein und das Nichts

1

Die hier vorliegende Essay untersucht visuelle Subjektivierungen im bekannten Titelblatt des Leviathan, dem staatsphilosophischen Hauptwerk des englischen Philosophen Thomas Hobbes (1588–1679). Der Leviathan wurde während des englischen Bürgerkrieges (1642–1651) geschrieben und erschien 1651 in London. Das Frontispiz ist eine Radierung des Pariser Künstlers Abraham Bosse (1602/04–1676) und wurde im Austausch mit Hobbes gestaltet.

Thomas Hobbesʼ Konzept der Personalität ist eigen: Der Souverän ist der Schauspieler des Volkes. Nur in ihm und seinen Aufzügen wird es sich selbst anschaulich. Das einzelne Individuum erkennt sich über die souveräne Instanz, die gewissermaßen sein eigenes anderes ist, als Teil des politischen Körpers. Der Souverän repräsentiert den Einzelnen, insofern dieser Teil des Ganzen ist, und stellt ihn so in seiner Allgemeinheit, d.h. nicht als konkretes Individuum, sondern als formal Gleiches unter Gleichen innerhalb des Gesamtkörpers (body politic), dar. Die abstrakte Gleichheit (alle sind Subjekte unter derselben souveränen Regierung und haben dieselben Rechte und Pflichten ermöglicht formal die Identifizierung mit jedem anderen Teil des politischen Körpers über die Figur des Souveräns oder anderer Personifizierungen dieser Gemeinschaft, die das Ganze, die Einheit des politischen Körpers repräsentieren (Bilder des Souveräns im weitesten Sinne, z. B. auch die Beamten der Staatsapparate) und garantieren. Das konkrete Individuum als personale Identität, sich selbst darstellende Person, ist in der Hobbesschen Staatskörperlogik nicht vorgesehen. In diesem Sinne ist es verständlich, dass die Unterschiede der Subjekte, die den „Hobbesschen Kompositkörper“2 des Titelblattes bilden, verschwindend klein sind.

Die Struktur der Staatsgründung ist paradox. Das ,Volkʻ hat sich konstituiert im Moment der vertraglichen Aufrichtung des Staates, und zwar wird durch den „anamorphotischen Sprung auf eine andere Ebene“3 so etwas wie Souveränität und ,Volkʻ zuallererst möglich. Vorher, im Naturzustand, gibt es weder ein ,Volkʻ noch eine souveräne Instanz. “In fact, the very process of state-formation by means of contract, whereby a representative, hence a sovereign, is instituted, means that civil society as such and all forms of social relations including domestic life, commercial activity, even the ,peopleʻ itself, are state created. This is because for Hobbes it is only the erection of a sovereign representative that can transform a ,disunited multitudeʻ into a ,peopleʻ …“4 Die Einheit dieses ,Volkesʻ wird erst und die Einheit bleibt nur, wenn sie übertragen wird auf diejenige Instanz, die dieselbe allein garantieren kann: Der Souverän als der Träger der fiktiven Staatsperson (,Volkʻ oder Nation). Das so konstituierte Gemeinwesen ist nicht souverän, sondern souverän ist einzig und allein seine Repräsentation: der König oder das Parlament.

Wenn das Antlitz des Leviathan die Visualisierung des nosce teipsum ist, dann als Aufforderung, besser als Befehl (Gebot) zum Gehorsam, zur Unterwerfung unter die souveräne Macht des Herrschers, zum Erlernen der Pflichten und zur Kenntnis der Freiheiten. Der Blick des Souveräns ist die Aufforderung zur Subjektwerdung, die allein unter diesem Blick, der visuellen Macht, möglich ist. Dass die Subjektivierung der Individuen im 17. Jahrhundert an die Aufrichtung einer sichtbaren souveränen Instanz gebunden ist, im Gegensatz zum unsichtbaren souveränen Prinzip, erkennt auch Christopher Pye, der in diesem Zusammenhang auf Stephen Greenblattʼs Studie Invisible Bullets: Renaissance Authority and Its Subversion verweist. „Stephen Greenblatt characterizes the monarch as a distinctly spectacular authority sustained by the distancing structure of the theater. By contrast with eighteenth-century power, which “dreams of a panopticon in which the most intimate secrets are open to the view of an ,invisible authority,ʻ ,Elisabethan power,ʻ Greenblatt says, ,depends upon its privileged visibility.ʻ“5

So ist das Bild Aufforderung zur Selbstregulierung, Subjekterkenntnis im Angesicht der souveränen Herrschaft, das Antlitz die Projektion eines Ideals, das, auf das Subjekt zurückgeworfen, dessen eigenen Blick auf sich selbst verwandelt, an dem man sich orientiert, sei es aus Furcht oder Überzeugung, und das einem sagt, was zu tun sei. Freilich, hebt man das Bild aus dem Kontext der Hobbesschen Staatsphilosophie heraus und ordnet es ein in den größeren Rahmen einer neuzeitlichen Geschichtsphilosophie der Subjektwerdung, ist das, was hier zuallererst sichtbar wird, die Unterwerfung (assujetisement) des (neuzeitlichen) Subjekts unter eine souveräne Instanz.6

2

Die Trias der Blicke aus Staatssubjekten, Souverän und BetrachterIn bildet eine sich unaufhörlich wiederholende Dynamik, eine in sich geschlossene Bewegung, eine Schleife, die den/die BetrachterIn unweigerlich in den Prozess der Staatswerdung hineinzieht bzw. miteinbezieht. Gleichgültig, ob man von den sich Unterwerfenden (dargestellt durch die Figürchen im Körper der Figur) ausgeht oder von dem/der Betrachtenden (mir selbst): Das Antlitz des Souveräns bildet immer das Mittelglied zwischen den schon eingegliederten und den betrachtenden Subjekten. Die Originalität der Konstruktion der Blickrichtungen liegt eben darin, dass sie den/die BetrachterIn in ihre Dynamik einbeziehen, der/die sich durch die direkte Anrufung, das direkte Angeblicktwerden, nicht enthalten kann, imaginär am Staatsgründungsprozess7 zu partizipieren. Da der/die BetrachterIn vom Souverän direkt „angesprochen“ wird, muss er/sie die souveräne Position des/der außenstehenden reflektierenden Beobachtenden verlassen und wird gewissermaßen selbst Teil der Bildkonstruktion. Freilich, der/die Betrachtende bleibt real immer außenstehend in der Betrachtung eines Bildes, auf der imaginären Ebene jedoch ist er/sie jetzt Teil desselben und wird durch die Blicke der im Bild versammelten Untertanen, deren Einheit und Person vom souveränen (Ober)haupt getragen wird, dazu aufgefordert, sich zu subjektivieren.

Man könnte das Titelbild interpretieren als Visualiserung dessen, was Louis Althusser unter dem Begriff Subjektanrufung beschreibt8, nicht zuletzt durch die schon erwähnte Spiegelungsfunktion, die das Antlitz des Königs (=des Souveräns) erfüllt und in dem sich die Individuen als Subjekte selbst anschaulich werden, ihr eigenes Bild betrachten können, wie Althusser es ausdrückt.9 „Wir legen damit jetzt den Gedanken nahe, dass die Ideologie auf die Weise „agiert“ oder eben „funktioniert“, dass sie unter den Individuen (sie rekrutiert sie alle) Subjekte „rekrutiert“ oder die Individuen (sie transformiert sie alle) in Subjekte „transformiert“, und zwar durch eine ganz genau bestimmte Operation, die wir Anrufung [interpellation] nennen. Man kann sich diese Anrufung anhand des Typs der banalsten alltäglichen Anrufung vorstellen, wie sie etwa von Polizei wegen oder auch ohne diese Zuspitzung erfolgt: „He, Sie da!““10 Die Interpretation ist streng genommen nicht ganz zutreffend, da der Anrufung von Individuen als Subjekte im Sinne Althussers ein sprachliches Moment eingeschrieben ist, welches dem Titelbild notwendigerweise fehlt, doch ist dieses sprachliche Moment, ein Moment der anrufenden Identifizierung, in den Blickverhältnissen des Bildes gegenwärtig. Ich werde gleich näher darauf eingehen.

3

Ideologische Verhältnisse sind imaginäre Verhältnisse, bildlich im umfassenden Hobbesschen Verständnis der Bedeutung dieses Wortes11, sie haben immer eine vermittelnde Funktion, jenen Phantasmen ähnlich, die für uns die Dinge der Außenwelt repräsentieren. Doch da das Bild, die Staatsfigur des Leviathan, eine Repräsentation, ein Idol, bleibt, muss es gemäß der Hobbesschen Anforderungen an Bilder und um seines Funktionierens willen auch repräsentativen Charakter haben, d. h. seinerseits verweisen auf ein tatsächlich existierendes Verhältnis zwischen Menschen und einem Souverän, dem man sich real als Subjekt unterwirft, um eine Staatsnation zu stiften. Anders ausgedrückt: Das Bild als Repräsentation erhält seine Macht erst dadurch, dass diese „visuelle Strategie12, dieser imaginär (nach)vollzogene Akt der Unterwerfung einem tatsächlichen Unterworfensein oder einem symbolisch-diskursiven (z. B. die Vertragsunterzeichnung) korrespondiert bzw. durch solches gestützt wird.13

– Ich darf mir erlauben, ein Beispiel anzuführen, damit meine Worte klarer werden. Wenn ich in eine christlich-orthodoxe Kirche gehe und von einer dieser Ikonen dort streng, gütig, auffordernd, drohend u. dgl., meist direkt angeblickt werde, so glaube ich mich zwar angeblickt, direkt angesprochen oder angerufen, weil dieser Blick im psychischen Apparat die Stelle meines Über-Ichs einnimmt, also als imaginäre Personifikation der souveränen (,väterlichenʻ) Instanz fungiert und darum die Macht gewinnt, mich als Subjekt anzurufen, doch kann ich diesen Geist wieder vertreiben, weil dem Blick, den die Ikone auf mich wirft und der letztlich nur mein eigener ist, den ich auf mich selbst werfe – selbstreflexive Bewegungen oder Bewegungsansätze im psychischen Apparat –, nichts korrespondiert, was diese seine imaginäre Macht über mich real durchsetzen könnte, da ich nicht an die Verkörperung oder überhaupt die Existenz der göttlichen Hypostasen glaube. Oder um es mit oder besser gegen Hobbes zu sagen: Ich fürchte mich weder vor den Konsequenzen der Nicht-Unterwerfung unter den ,göttlichen Königʻ noch bedarf ich seines Schutzes zur Erhaltung meines Lebens. Ich habe keine Angst, also gehorche ich nicht und unterwerfe mich nicht. Das heißt eben auch, ich erkenne ihn nicht an. Insofern hat er keine Macht über mich.14 Aber diese Feststellung ist auf die staatlichen Apparate und ihre Verkörperungen nicht anwendbar. Ich werde gezwungen, sie anzuerkennen, nein, ganz gleich, ob ich sie anerkenne, sie haben die Macht, mich zu interpellieren, zu verpflichten, zu verurteilen, zu strafen, ich bin immer schon in der Position des Subjekts. Ich werde immer schon als Unterworfenes angesprochen worden sein, solange ich mich in staatlichen Verbänden bewege, egal ob ich das anerkenne oder nicht. De facto habe ich keine Wahl. Aber zurück zum Bild. –

Die Hobbessche Frage ist: Wie wird die Vielheit zur Einheit und daraus abgeleitet, wie lässt sich diese Einheit aufrechterhalten. Und seine Antwort ist: Die Vielheit kann zur Einheit nur über einen Dritten gelangen, der selbst im paradoxen Zustand ist, nicht Teil dieser Vielheit und doch mit ihr verbunden zu sein, indem er sie repräsentiert.15

Dieser Dritte verleiht der Vielheit durch einen vertraglich fixierten Akt der Autorisierung ein einheitliches Gesicht (das auch tatsächlich im Titelbild als solches erscheint). In diesem Dritten ist die Vielheit eins. Jeder Teil der Vielheit soll sich selbst in diesem Dritten erkennen und kann es auch, da er es selbst gewesen ist, der ihn beauftragt hat, sie alle zu einen und zu regieren, unter der Bedingung, dass alle anderen Teile dieser Vielheit ihm denselben Auftrag erteilen.“I authorize and give up my right of governing myself, to this man, or to this assembly of men, on this condition, that thou give up thy right to him, and authorize all his actions in like manner.“16

Die Autoren, aus der diese Vielheit besteht, schreiben sich selbst in einem freien Akt ihre eigene Unterwerfung, unterwerfen sich ihrem eigenen Text (Gewebe), werden Subjekte ihres eigenen Textes, den sie selbst verfasst haben, deren Autoren sie waren und auch bleiben. Und dieser Text ist das Drama des Staates, dessen Hauptdarsteller der diesen Staat, diesen Text, repräsentierende Souverän. Das ist die paradoxe Situation der Staatsgründung bei Hobbes, von der auch Horst Bredekamp spricht: Der freiwillige Akt der Individuen, den Grund ihrer eigenen Unterwerfung zu produzieren. Doch zurück zu den Blickbewegungen, die mich durch mein direktes Angesprochenwerden überhaupt erst zu diesen Reflexionen verführt haben.

4

Die Figuren (Subjekte) im Körper des Leviathan von Abraham Bosse und ich (der/die BetrachterIn) haben, abgesehen von der theoretischen, über das Bild hinaus- und in den Text des Buches hineinweisenden Erörterung dieser Frage der Gemeinsamkeit, eines gemeinsam: Wir alle blicken auf das eine Antlitz, haben eine „gemeinsame Orientierung auf den Kopf des Souveräns.“17

Ich blicke in meiner Blickbetrachtung (ich nehme mir die Freiheit, die Figur vorerst isoliert vom restlichen Bild zu begreifen) auf dieses Antlitz. Mein erster Blick fällt darauf. Von ihm wandert er nach unten zu seinem Körper, zu den Figuren, die dadurch, dass sie alle in eine Richtung, nämlich auf dieses Antlitz blicken (ich sehe ihre Blicke nicht, doch kann ich durch die Art ihrer Darstellung darauf schließen), die Bewegung meines Blicks wieder nach oben delegieren auf sein Antlitz, dessen geradliniger (auf mich gerichteter) Blick meinen Blick auf mich selbst zurückwirft, wie ein Spiegel.18 Der Blick hat sich aber verändert, insofern er durch die blickenden Subjekte hindurchgegangen ist. In einem Spiegel ist das Spiegelbild (sein Blick) mein Blick und doch nicht (mein Blick ist immer noch der, der auf diesen Spiegel blickt). Ich blicke auf mich selbst als auf einen (imaginären) anderen, der ich ist und der ebenso auf mich blickt. Nosce teipsum, read thyself! Mein Blick ist sein Blick; – und wieder wandert mein Blick auf die Figuren im Körper, die zu Ihm aufblicken, die ihre Blicke alle in eine Richtung werfen, auf ihn, durch Ihn werden alle Blicke geeint, durch Ihn blicken sie vereint nach außen, Er ist der Träger ihres Blicks und nur durch Ihn wird ihr Blick anschaulich, sichtbar, durch Ihn haben sie überhaupt Einen Blick. Er ist ihr Blick oder zumindest die Repräsentation ihrer Blicke und also Ein Blick.

Und ist mein Spiegelbild, das auf mich zurückblickt, nicht auch die Repräsentation meines Blicks? Wenn dem so ist, dann haben die Figuren (Subjekte) und ich (Subjekt) noch etwas gemeinsam: In seinem Blick sind unsere Blicke repräsentiert. In dieser Repräsentation werden wir uns selbst anschaulich und sollen uns erkennen als das, was die Figuren im Körper und der/die Betrachtende gemeinsam haben: Subjekte zu sein im Angesicht des souveränen Blicks.19 Im Bild des Souveräns sollen sich die Subjekte erkennen, in ihm, der die personifizierte Einheit ihrer selbst darstellt. „As an impersonator of each and every subject, the sovereignʼs power depends on his capacity to produce universal identification, or the self-recognition of all others in him.“20

Doch ist diesem Konzept der spiegelbildlichen Identifizierung das Moment der Differenz notwendigerweise eingeschrieben. Das zweidimensionale Abbild eines Menschen, der sich im Spiegel erblickt, ist nur dessen Reflexion, die er als Körperbild verinnerlicht und auf die er sich selbstreflexiv beziehen kann, wenn er die unbewusst stattfindende Identifizierung mit seinem eigenen Bild auf den Begriff bringt. Imaginär wird dieser Abgrund überbrückt, tatsächlich aber klafft er unüberbrückbar zwischen dem Menschen und seinem Bild. Das Subjekt, das sich mit dem Souverän als Träger der Staatsperson, als visualisierte Staatsidee, mithin mit allen in diesem Verband einbezogenen Subjekten über das souveräne Medium identifiziert, ist von diesem ebenso unterschieden wie der einzelne Mensch von seinem tatsächlichen Spiegelbild. Mehr als das: Während zwischen dem Menschen und seinem Spiegelbild ein offensichtliches Ähnlichkeitsverhältnis besteht, so erblickt das Subjekt im Spiegel des königlichen Antlitzes des Titelbildes einen anderen, der er selbst sein soll.

Um eine universale Identifizierung aller Subjekte mit der über den Souverän vermittelten Gemeinschaft zu ermöglichen, schreibt Monica Brito Vieira, dürfe das Gesicht oder die Maske21 nicht einem bestimmtem Menschen korrespondieren. „He [the sovereign] must rather be beyond all literality, beyond all partisanship, beyond himself. Only such a mask […] displaying archetypal characteristics, with which everyone, but no one specific, can identfy, will be able to bestow on the multitude the unity of expression which is to be expected of an impersonal sovereign agency like the state.“22 Die Allgemeinheit eines (königlichen) Gesichts, wie es das Titelbild des Abraham Bosse darstellt, entspricht dem Hobbesschen Anspruch, den souveränen Staat zu beschreiben, unabhängig von Regierungsform und konkreten Personen. „… I speak not of the men, but (in the abstract) of the seat of power…“23

Das Subjekt erblickt die eigene (fiktive) Person als Maske, die er selbst ist und gleichzeitig nicht, sein anderes, im Spiegel. Anders: Was das Subjekt im Auge des Souveräns erblickt, ist die Einheit des Kollektivs, der Gemeinschaft. Es wird sich zukünftig als Teil dieses Kollektivs, als das er sich im Spiegel wahrnimmt, imaginieren.

In diesem Wechselspiel von Identität und Differenz, das dem Begriff der Repräsentation inhärent ist, bleibt das Individuum gespalten. Die Teilung zwischen der privaten Person und dem im Staatsverband subjektivierten Bürger ist eine Konsequenz aus dem Hobbesschen Staatskonzept.

Bezogen auf das Verhältnis von öffentlicher Doktrin und privatem Glauben schreibt Michael Großheim: „Der Souverän kann zwar den Untertan so zum Gehorsam verpflichten, daß dieser nicht durch Wort und Tat seinen Unglauben demonstrieren darf. Er kann ihn jedoch nicht dazu verpflichten, anders zu denken als seine private Vernunft ihm eingibt.“24 Wenn Hobbes allerdings davon spricht, dass die gute Regierung der Meinungen die gute Regierung der Handlungen bestimmt, dann ist davon auszugehen, dass jene Spannung durch die erzieherische Funktion der ideologischen Staatsapparte aufgehoben werden soll. „For the actions of men proceed from their opinions; and in the well-governing of opinions, consisteth the well-governing of menʼs actions, in order to their peace and concord.“25

Die vollkommene Aufhebung dieser Spannung zwischen privat und öffentlich wäre hier freilich fatal, weil die Identifizierung total und tatsächlich dem nazistischen Volksgemeinschaftskonzept gleichkäme. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass gerade Carl Schmitt ein großer Kritiker dieser Spaltung im Individuum/Subjekt in private Meinung und öffentliche Handlung war. „For Schmitt, Hobbes has introduced into the heart of his powerful Leviathan a principle of weakness, in the form of private conscience, that will be exploited by the ,Jewish spiritʻ and by different pluralist schools …“26 Eines ist allerdings klar: Die Identifizierung des Einzelnen mit der Gemeinschaft über eine souveräne Instanz, die diese Einheit darstellt und garantiert, kann nicht ohne Folgen für das Selbstbewusstsein jenes Einzelnen als privates Individuum bleiben. Man darf hier in der Hobbesschen Theorie eines Staatskonzepts des 17. Jahrhundert jedoch nicht zu weit gehen. Für ihn ergibt sich, dass der Mensch, der durch Machtstreben und Stolz gekennzeichnet ist, durch Gewalt und deren Androhung im Staat gehalten werden muss. Doch Hobbes stellt in seinem Werk auch ein Konzept vor, das die Frühzeit bürgerlicher Staatlichkeit als fiktives Ursprungsszenario verkleidet. Die Entwicklung dieser Staatlichkeit ist nicht stehengeblieben und die großen nationalen Bewegungen im Europa des 19. Jahrhunderts und darüberhinaus bis zu Faschismus und Nationalsozialismus beweisen, dass die Identifizierung mit der Gemeinschaft über ihre (visuellen) Repräsentationen oder (versinnlichten) Ideen, auf die Selbstwahrnehmung der Einzelnen zurückgewirkt haben muss, wenn sie bereit waren und es immer noch sind, für ihre Nation in den Tod zu gehen. Die tatsächliche Dialektik im Begriff der (nationalen) Identität, das Verhältnis zwischen Staat, Nation und Subjekten ist weiter vorangeschritten. Bei Hobbes werden die Subjekte verpflichtet, für die Souveränität des Staates zu kämpfen. Sie tun es nicht zuletzt aus Eigeninteresse, um ihr Eigentum zu schützen, doch sind die Hobbesschen Menschen, die sich in diesem „Ursprungsszenario“ zusammengeschlossen haben, noch keine gesellschaftlichen, sondern sie müssen erst gelehrt werden, sich gesellschaftlich zu verhalten. Darum ist eine sichtbare Macht nötig, die sie alle das Fürchten lehrt, bevor das Prinzip vollkommen verinnerlicht worden ist.

Der Entwurf eines säkularen Staatsmodells, das die Religion einzig zu ideologischen Zwecken der Erziehung der Subjekte gebraucht27 und bedingungslos der souveränen weltlichen Instanz unterwirft und darüber hinaus den Begriff der Souveränität als eines der wesentlichen Konzepte neuzeitlicher Staatstheorie entwickelt, die ideologische Erziehung der Subjekte als einen Kernpunkt für Stabilität von Herrschaftsverhältnissen in den Blick rückt und nicht zuletzt die Wichtigkeit von Verbildlichungen, Metaphern, Bildern oder Symbolen erkennt, um den Gehorsam der Subjekte zu stärken, darf mit Recht als philosophischer Ursprung moderner Staatlichkeit angesprochen werden: „… Hobbesʼs Leviathan (1651) marked the true watershed in the emergence of a modern conception of statehood. Hobbesʼs mature thought marked not merely the transition from a superpersonal notion of kingship to an impersonal, corporate conception of the polity. It marked the emergence of a ,purely artificialʻ or abstract conception of the ,stateʻ as ,the name of an artificial person ,carriedʻ or represented by those who wield sovereign power…ʻ“28

Körper und Kopf des Leviathan, vergrößerter Ausschnitt,


Fußnoten

1 Es genügt hier, das Spiegelstadium zu begreifen als eine Identifikation im vollen Sinn, den die Analyse diesem Begriff gibt: nämlich als Transformation, die bei einem Subjekt in Gang gesetzt wird, wenn es ein Bild in sich aufnimmt.

2 Vgl. Bredekamp, Horst: Thomas Hobbesʼ Visuelle Strategien, Der Leviathan: Das Urbild des modernen Staates, Akademie Verlag, Berlin, 1999, im Folgenden abgekürzt mit Bredekamp 1999

3 Vgl. Windisch, Martin: „when there is no visible Power to keep them in awe“: Staatstheorie und Bildform bei Thomas Hobbes, in: Zeitsprünge: Forschungen zur Frühen Neuzeit 1.1 1997): S. 117-165

4 Jaume, Lucien: Hobbes and the Philosophical Sources of Liberalism, in: Springborg, 2007, p. 203-4, im Folgenden abgekürzt mit: Jaume, 2007

5 Pye, Christopher: The Sovereign, the Theater, and the Kingdom of Darknesse: Hobbes and the Spectacle of Power, in: Representations, No. 8 (Autumn, 1984), pp. 84-106, University Press of California, p. 85; im Folgenden abgekürzt mit Pye, 1984

6 Im Moment der Staatsgründung, in dieser freilich durch und durch ahistorischen Konstruktion, werden die freien Individuen des Naturzustands zu Subjekten, zu Untertanen ihres Souveräns. Hier beginnt die Geschichte des neuzeitlichen Subjekts als Unterworfenes. Die Staatsgründung ist: der Akt der „Subjektion“ (das meint hier Unterwerfung als Subjektwerdung im Sinne Foucaults. Vgl. unter anderem Foucault, Michel: Überwachen und Strafen, Die Geburt des Gefängnisses, Suhrkamp, Frankfurt/M., 1976). Im Anfang neuzeitlicher Staatlichkeit wird eine Struktur sichtbar, die für die neuzeitliche Subjektivität von entscheidender Bedeutung und nicht allein von rechtsphilosophischer Relevanz ist: Das Verhältnis von Subjekt und Souverän als Anerkennungs- und Unterwerfungsstruktur.

7 Das meint hier die vertraglich fixierte Autorisierung der eigenen Unterwerfung (Subjektivierung) unter eine souveräne Instanz.vgl. Hobbes, Thomas: Leviathan, ed. with an Introduction by J.C.A Gaskin, Oxford University Press, 1996, S. 114. Im Folgenden abgekürzt mit: Leviathan, 1996.

8 Ideologischen Mechanismen ist immer das Moment der Anerkennung eingeschrieben. „In dieser Reaktion wird die Funktion der ideologischen Wiedererkennung und Anerkennung [reconnaissance] ausgeübt, als eine der beiden Funktionen der Ideologie als solcher [.]“ Althusser, Louis: Ideologie und ideologische Staatsapparate (Notizen für eine Untersuchung, in: Ideologie und ideologische Staatsapparate, VSA: Verlag, Hamburg, 2010, S. 86, im Folgenden abgekürzt mit Althusser, 2010. Bildliche Repräsentationen von Herrschaftsverhältnissen als Teil der ideologischen Staatsapparate arbeiten eben mit dieser Funktion. Nicht nur soll ich als Subjekt bei der Betrachtung herrschaftlicher Pracht die Größe der souveränen Macht erkennen und sie als das Oberhaupt, sondern mich selbst in ihrem Schatten als ihr unterworfen, meine Kleinheit in ihrem Angesicht, anerkennen. Im Sonnenlicht, sieht man das Leuchten der Sterne nicht. „… so are the subjects in the presence of the sovereign. And though they shine some more some less, when they are out of his sight; yet in his presence, they shine no more than the stars in the presense of the sun.“ Leviathan, 1996, S. 122

9 vgl. Althusser, 2010, S. 96 In Althussers Beispiel ist es Gott, in dem die Subjekte ihr Bild betrachten können.

10 a.a.O., S. 88

11 Bild kann nach Hobbes dreierlei bedeuten:

1. Ein Bild (image) in seiner engeren Bedeutungis the resemblance of something visible: in which sense the phantastical forms, apparitions, or seemings of visible bodies to the sight, are only images… which are nothing real in the things seen … but changeable, by the variation of the organs of sight, or by glasses … And these are the images which are originally and most properly called ideas, and idols, and derived from the language of the Grecians, with whom the word είδω signifieth to see. They also are called PHANTASMS, which is in the same language, apparitions. And from these images it is, that one of the faculties of man’s nature, is called the imagination… Bilder kann es nur von sichtbaren Dingen geben, die in sich leuchten oder von einem anderen Körper erleuchtet werden.
2. Materielle Bilder, die Ähnlichkeit (resemblance) nicht mit dem durch sie repräsentierten Gegenstand sondern mit dem als ihr Urbild fungierendes Phantasma, mit der Idee im Kopf des Bildners aufweisen: „ And these are also called images, not for the resemblance of any corporeal thing, but for the resemblance of some phantastical inhabitants of the brain of the maker.“
3. Ein „Bild“ im weiteren Wortsinn ist jegliche Repräsentation einer Sache durch eine andere. In diesem Falle ist keine Ähnlichkeitsbeziehung erforderlich; selbst ein Stein, wie Hobbes meint, konnte den Gott Neptun repräsentieren. Der Name allein genüge, „to represent the persons mentioned in history; to which every man applieth a mental image of his own making, or none at all…“ Als Beispiel einer bildlichen Repräsentationsbeziehung (ohne Ähnlichkeitsbeziehung) führt Hobbes den weltlichen Souverän als Bild Gottes oder die staatlichen Beamten als Bilder des Souveräns an.

12 Vgl. Bredekamp 1999

13 Analog zur Hobbesschen Konzeption des menschlichen Wahrnehmungsapparats könnte man sagen, wie das zusammengesetzte Erscheinungsbild notwendig die Komposition von einfachen Sinneseindrücken ist (z. B. die Vorstellung eines Mannes und jene eines Pferdes bilden die Fiktion eines Zentaurs), muss das materielle Bildnis, das Hobbes zufolge durch seine Ähnlichkeit mit der Idee im Kopfe des Künstlers bestimmt ist, auf die Realität referieren, die selbst freilich nur als ursprüngliches Vorstellungsbild („original fancy“) ist, da die Idee, als fiktionale Komposition, notwendig auf einzelne Sinneseindrücke als deren Grundlage verweist.

14 Dies sind die Worte eines Atheisten des 21. Jahrhunderts. Für gläubige Menschen und Menschen anderer Epochen, können diese Art von Anrufungen sehr wohl bindend sein.

15 Dieses Paradox ist sowohl in der Lehre von den zwei Körpern des Königs als auch im Titelbild, in der differenten Einheit zwischen Körper und Kopf (die freilich ein Körper sind) angelegt; der Kopf ist im Gegensatz zum Körper nicht aus den Staatssubjekten zusammengesetzt. „As the temporary bearer of sovereignty he inhabits a demanding, double-faceted role. He is but one of us and yet he is radically other. He is both completely immanent and completely transcendent.“ Brito Vieira, Monica: The Elements of Representation in Hobbes, Aesthetics, Theatre, Law, and the Theology in the Construction of Hobbesʼ Theory of the State, Koninklijke Brill NV, Leiden, 2009, S. 121-22 oder auch Pye: „According to Hobbes’s political theory, the sovereign is at once a representation of the subject – a representative who simply mirrors and mediates between contracting citizens – and, at the same time, an independent figure whose imposed force alone can tie men to their contracts.“ Pye, 1984, S. 96

16 Leviathan, 1996, S. 114.

17 Bredekamp, 1999, S. 110

18 Vgl. auch Pye: „He mirrors our gaze directly, his ample and singular presence the narcissistic reflection of our own“ Pye, 1984, S. 102

19Zum Blickbegriff in der Forschung verweise ich auf: Sartre: Das Sein und das Nichts, Rowohlt, Hamburg, 1952 Lacan: Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, in: Schriften 1, Walter-Verlag, Olten und Freiburg im Breisgau, 1973 Foucault: Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses, Suhrkamp, Frankfurt/M., 1977 Belting, Hans: Florenz und Bagdad. Eine westöstliche Geschichte des Blicks, C.H. Beck, München, 2008 sowie Mulvey, Laura: Visuelle Lust und narratives Kino, in Weissberg, Liliane (Hrsgin.): Weiblichkeit als Maskerade, Fischer, Frankfurt/M., 1994, die alle den Blickbegriff in unterschiedlichen Kontexten und Hinsichten behandeln.

20 Brito Vieira 2009, S. 121.

21 Hobbesʼ Ableitung des Begriffs der Person aus dem Lateinischen legt es nahe, diese als bloße äußere Erscheinung, als Verkleidung, kurz als Maske zu denken. „The word person is Latin: whereof the Greeks have πρόσωπον, which signifies the face, as persona in Latin signifies the disguise, or outward appearance of a man, counterfeited on the stage: and sometimes more particulary that part of it, which disguiseth the face, as mask or vizard [visor]…“ Die Differenz von Maske und darunter liegendem Gesicht, die sich im Begriff der Repräsentation aufeinander beziehen, wird verstanden als Gegensatz von Identität und Differenz oder im Modus der Zeit gedacht, ein Spiel von Präsenz und Absenz, konstitutiv für repräsentationale Verhältnisse.

22 a.a.O., S. 121

23Leviathan, 1996, S. 3.

24Großheim, Michael: Religion und Politik. Die Teile III und IV des Leviathan, in: Kersting, Leviathan, 1996, S. 298.

25Leviathan, 1996, S. 118.

26 Jaume, 2007, S. 212

27The power ecclesiastical is but the power to teach.“ Leviathan, 1996, S. 330

28 Orr, Alan, D.: Treason and the State, Cambridge University Press 2002, S. 32